Der Keramikkünstler Karstieß zeigt vom 11.10.2025 bis 8.2.2026 seine “Freundschaftsanfrage No. 3”. In einem Dialog zwischen eigenen Skulpturen und Sammlungswerken von Fontana, Modersohn-Becker und Munch verbindet er persönliche Erinnerungen mit Kunstgeschichte.
Zur Ausstellung: Markus Karstieß – Freundschaftsanfrage No. 3
Noch bis 8. Februar 2026
Wie kamen Sie auf die Arbeit mit dem Werkstoff Keramik? Was fasziniert Sie daran?
Markus Karstieß: Zum ersten Mal bin ich auf der Insel Hombroich im Fontana-Pavillon der Raketenstation auf das Material Keramik aufmerksam geworden. Wir hatten ein Gastatelier dort und hatten fast täglich Zugang zu dem von Heerich gestalteten Gebäude mit dem großen Keramik-Wandrelief von Lucio Fontana: „Il Sole“, 1952.
Fontana hatte das Material sehr unmittelbar mit Händen, Füßen und Werkzeugen wie Stöcken bearbeitet. Diese Bewegungen der zähen Materie durch einen Menschen ist sehr präsent in dem Werk, und ich begann selber damit zu Arbeiten.
Das Material Ton ist für mich ein Kulturspeicher. Das durch Erosion über einen langen Zeitraum entstandene Material Ton hat einen hohen entropischen Grad, was sich in einer besonderen Qualität zeigt, Vergangenes und Zukünftiges zu speichern. Es beinhaltet alle mit ihm mögliche Formen, die sich dann im Dialog zeigen können.
Wie finden Sie Ihre Formen? Die meisten Arbeiten bewegen sich ja zwischen Figuration und Abstraktion…
Karstieß: Der amorphe Ton in der Hand ermöglicht im Modellieren, durch Druckausgleich zwischen Hand und Ton ein Verdichten und ein sich Zeigen. Die Formen und Figuren entstehen mit dem Material nicht gegen das Material. Man könnte auch sagen, die Hand leitet das Material und das Material die Hand. Das Organische scheint mir dem Ton eingeschrieben zu sein, alles geometrische, besonders Eckige führt gerne zu Rissen. Ein Drang zum Wesenhaften ist sehr präsent, wenn ich mit Ton arbeite. Zu Beginn etwas Rohes und Wildes, was nach einer Weile in sanften Oberflächen enden kann. Ist der Ton-Abdruck eines Handinnenraumes abstrakt oder figürlich?
Welche Rolle spielt für Sie der umgebende Raum?
Karstieß: Das Werk konstituiert sich erst im Raum und in der Begegnung mit dem Publikum, mit Anderen. Eine Gruppe von Werken benötigt immer eine Verbindung und Halt. Der Raum kann dies leisten, wenn er gut gestaltet ist – was selten der Fall ist. Eigentlich müsste der Raum aber gebaut werden für und mit den Skulpturen. Das ist eine Idealvorstellung, die die Renaissance uns wiedergebracht hat. Der nüchtern weiße Raum heute suggeriert seit der Moderne Neutralität und Offenheit. Ihm fehlt aber das Gelebte und die Schwerkraft, das ornamental Kosmologische und die Schönheit des Makels des Handgemachten. So sind die Werke, wenn sie das Atelier verlassen und im White Cube landen, in einer Art Schwerlosigkeit. Wenn sie richtig im Raum gestellt werden, sie Beziehungen durch Nähe und Distanz aufgebaut haben, kann ein neuer, eigener Raum entstehen. Dieser ist fragil – eine wundersame Verdichtung im offenen Raum entsteht. Es ist auch ein Versuch der „Wiederverzauberung der Welt“ (Byung-Chul Han). Wir müssen die Wiedersprüche der Werke in diesen oft falschen Räumen aushalten.
Wie wichtig ist der Zufall, gerade bei der Arbeit mit Keramik?
Karstieß: Man könnte es kontrollierten Zufall nennen. Alles entsteht mit dem Material. Alle beteiligten Agenten (Ton, Wasser, Mensch, Wetter, Energie, Brennofen, …) entscheiden über das Werk durch Verschränkung. Karen Barad nennt das „Agentiellen Realismus“. Ton ist ein sehr aktiver Agens.
Wie entstand das Konzept für die Freundschaftsanfrage im Von der Heydt-Museum?
Karstieß: Es ist eine Art Selbstbefragung. Wo stehe ich als Künstler, wo stehen wir im musealen Kontext, wie ist die Beziehung der Sammlung zum Publikum. Die Werke betrachten sich selbst. Von Jannis Kounellis haben wir gelernt, die Vergangenheit immer mitzudenken. Das kulturelle Gepäck ist keine Last, sondern das Fundament. Es trägt uns weiter. Die Freundschaftsanfrage ermöglicht mir etwas auszuloten im Kontext großartiger Werke der Kunstgeschichte, in einer Region, in der ich aufgewachsen bin (Solingen-Gräfrath/Wuppertal-Vohwinkel). Ich empfinde das als eine einmal Chance, für die ich sehr dankbar bin.
Das Werk von Kounellis in der Sammlung besteht aus zerbrochenen Glasscheiben und Gipsfragmenten antiker europäischer Plastik. Die Sammlungsgeschichte ist auch verbunden mit der Tragödie des 20. Jahrhunderts. Meine Großmutter, die in Vohwinkel auf der Höhe der Schwebebahn ihr ganzes Leben lang wohnte und wo ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte, erzählte mir von den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg, wie die Menschen brennend in die Wupper sprangen – das prägt ein Kind. Sie hatte eine Bahlsen-Keksdose mit der Mona Lisa auf dem runden Deckel, aus der ich die Weihnachtskekse gegessen habe und eine Hirschskulptur von Josef Pallenberg (1882-1946). Alle paar Minuten rauschte die Schwebebahn vorbei und überfüllte den Raum mit Quietschen und Rauschen.
Welche Werke haben Sie aus der Sammlung ausgesucht und warum?
Karstieß: Ich habe mir Zeit genommen und alle Kataloge der Sammlung gewälzt und mir Werke im Museum im Original angeschaut. Die Auswahl zeigt, was mich unmittelbar angesprochen hat.
Einer der Ausstellungsräume wird von Ihnen als eine Art „Lager“ gestaltet, in dem sehr viele verschiedene Werke gezeigt werden. Um was für ein Lager handelt es sich? Anhand welcher Kriterien haben Sie die Werke speziell für diesen Raum ausgewählt?
Karstieß: Ein Lager ist ja ein Ort, von dem aus man weiterzieht. Ursprünglich war es die Idee des Nachtlagers im Bezug auf das Bild „Sternennacht“ von Munch. Ich habe ja bei Jannis Kounellis studiert, und Munch war sehr zentral für ihn. Ich spüre eine große Nähe zu der existentiellen Dringlichkeit im Fließenden seiner Malerei. In der Nacht, im Traum verbinden sich die Dinge anders. Leider steht das Werk für die Ausstellung nicht zu Verfügung, aber der Raum bleibt auch durch seine Abwesenheit für mich ein Nachtlager.
Ich habe für diesen Raum aus der Sammlung Werke ausgewählt, zu denen ich eine persönliche Beziehung habe. Seien es Werke aus der Sammlung Baum, die ich als Student beim Besuch im Haus der Eheleute Baum kennlernte und die mich damals sehr beeindruckt haben – wie hier die Gründerzeitvilla mit ihren Möbeln aus der Zeit auf Werke von Ruthenbeck und Roehr trafen. Oder Klaus Rinke, dessen Kolloquien ich oft besuchte, obwohl ich bei Kounellis studierte. Beide Künstlerpositionen waren wichtig für meine Entwicklung. Über den Sammler Volker Kahmen entwickelte sich mein Interesse für Goller und Schlemmer.
Durch Fontana bin ich zur Keramik gekommen. Meistermann kommt aus Solingen, dort bin ich aufgewachsen. Wir waren oft bei der Malerin Sarah Pelikan und Tönis Käo, Industriedesigner und damals Professor an der Uni Wuppertal, an der Sadowastraße zu Besuch, die uns auch mit den Baums und Erlbruchs bekannt machten. Auf der Sadowastraße verbrachte Else Lasker-Schüler (1869 – 1945) ihre Kindheit und Jugend. Es gibt aber auch Werke, die mich neugierig machen und eigene Werke, die im Lager mit nächtigen. Es sind lose Fäden, die hier zu einem nächtlichen Vorhang gesponnen werden.
Auffällig ist, dass Sie Gemälde als Gegenüber gewählt haben, ihre Arbeiten gar nicht in einen Dialog stellen mit denen anderer Bildhauer. Wie kam es dazu?
Karstieß: Ich habe als Maler in der Kunstakademie Düsseldorf angefangen. Und vielleicht bin ich deshalb auch bei Kounellis gelandet, der sich immer als Maler verstand. Auf seinem Grab in Rom steht einfach nur „Pittore“. Es heißt ja auch „Bild-hauer“. Seit Fontana mit seinen „Ambienti/Environments“ arbeiten wir immer installativ. Auch die solitäre Skulptur wird immer im Bezug zum Raum gebracht. Das gemalte Bild ist viel deutlicher Bühne, aber letztlich sind Installation und Gemälde bildhaft-bühnenhaft.
Die gewählten Positionen Paula Modersohn-Becker (1876–1907), Lucio Fontana (1899 – 1968), Edvard Munch (1863–1944), Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) sind alle noch im letzten Drittel des 19. Jahrhundert geboren. Das habe ich nicht bewusst so ausgewählt, da ich ganz subjektiv die Sammlung betrachtet habe, ganz nach dem, was mich direkt berührt hat. In ihren Werken liegt aber ein Aufbruch und ein anderer Umgang mit Material. Die Farbe, die Pigmente sind purer, roher, wilder und letztlich eigenmächtiger. Ein kühnes künstlerisches Selbstbewusstsein erscheint und die Künstler und Künstlerinnen bringen das Neue hervor. Jetzt scheinen wir wieder in einer ähnlichen Situation zu sein, und es zieht mich wieder an diesen Punkt des Aufbruchs aus dem Nachtlager.
In Ihrer Werkauswahl aus der Sammlung taucht erstaunlich oft der Name Paula Modersohn-Becker auf. Was fasziniert Sie an der Künstlerin? Welche Verbindung lässt sich zu Ihrem skulpturalen Werk herstellen?
Karstieß: Wir werden das hoffentlich sehen, wenn die Räume installiert sind. Es überrascht mich selber.
Sie integrieren auch Spiegel in diesen Dialog der Werke. Warum?
Karstieß: Im Raum mit den Skulpturen aus der Sammlung soll ein Zwiegespräch entstehen zwischen den Werken selbst, zwischen Betrachter*in und Werk. Der Spiegel bindet das Publikum direkt ein, wir können der Selbstbetrachtung kaum entfliehen. Es ist ein kompakterer Raum, der Intimität in der Betrachtung einfordert und ermöglicht. Das Spiegelkreissegment ist Teil von etwas Ganzem.
Die Fragen stellte Marion Meyer.