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Der Mensch ist immer indirekt präsent

Hans-Christian Schink

Ein Interview mit Hans-Christian Schink

1. APRIL 2022 |
BEATE EICKHOFF – KURATORIN

Der Mensch ist immer indirekt präsent

Die erste „Freundschaftsanfrage“ des Von der Heydt-Museums gilt Hans-Christian Schink (geb. 1961 in Erfurt). Mit einer Präsentation, die Arbeiten der zurückliegenden zwei Jahrzehnte des Fotografen mit Hauptwerken aus der Sammlung zur Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert zusammenführt, eröffnet das Museum eine Ausstellungsreihe, in der renommierte zeitgenössische Künstler eingeladen werden, sich mit den reichhaltigen Beständen des Hauses auseinanderzusetzen.

 

Eickhoff: Einer der Schwerpunkte unserer Museumssammlung ist die Malerei des 19. Jahrhunderts und hier insbesondere die Landschaftsmalerei. Nun haben wir ein neues „Ausstellungsformat“, übertitelt „Freundschaftsanfrage“, begonnen, und zum Auftakt Sie eingeladen, hier anzuknüpfen, eine Auswahl von Werken zu treffen und diese mit ihrer Fotoarbeit der zurückliegenden beiden Jahrzehnte in Korrespondenz zu zeigen. Der Gedanke ist naheliegend.
Ihre Art zu fotografieren ist bereits öfter in Verwandtschaft zur Kunst des 19. Jahrhundert gesehen worden. Einerseits nämlich aufgrund Ihrer Fototechnik, die Sie wie die Fotografen des 19. Jahrhunderts dazu veranlasst, langsam und bedächtig zu arbeiten. Sie haben in den vergangenen 30 Jahren überwiegend analog fotografiert, was der Fototechnik des 19. Jahrhunderts in mancher Hinsicht nähersteht als der heutigen digitalen Fotografie. Worin liegen für Sie die Vorteile?

Schink: Die Frage nach den Vorteilen stellt sich ja erst aus heutiger Sicht. Ich hatte 1988 während meines Studiums an der HGB Leipzig die Arbeit mit der Großformatkamera für mich entdeckt. Bis dahin war, wie bei der großen Mehrzahl der DDR-Fotografen, die Kleinbildkamera mein fast alternativloses Werkzeug. Mir wurde damals aber sehr schnell klar, dass das Fotografieren mit der Großformatkamera meinem Naturell viel mehr entsprach. Das langsame Arbeiten vom Stativ, der Umstand, dass die Entscheidung für ein Motiv vor der Aufnahme und nicht bei der Auswahl aus einer ganzen Reihe von Bildern getroffen werden musste, kam mir sehr entgegen. Eine solche Kamera unterscheidet sich im Grunde nur unwesentlich von einer Camera Obscura, kommt also dieser ersten Möglichkeit, ein Bild auf technischem Weg zu erzeugen, am nächsten. Inklusive der Tatsache, dass die Mattscheibe der Kamera das Motiv auf dem Kopf stehend zeigt. Natürlich kann man schon lange auch mit einer Großformatkamera digital fotografieren. Ich empfand aber die auf das Wesentliche reduzierte analoge Technik und die damit verbundene Bedingung, nicht jedes Bilddetail von vornherein als manipulierbar ansehen zu können, als gute Basis, meinen Blick auf die Welt fotografisch umzusetzen.

Eickhoff: Die Fotografen von damals folgten wiederum den Landschaftsmalern und nahmen deren Kompositionen, deren Motive, die Pinie zum Beispiel, auf. Der Vorteil, den die Fotografen gegenüber den Malern hatten, war, dass sie die Landschaften schneller einfangen, festhalten konnten. Und, bedenkt man, dass viele Gemälde erst im Atelier fertiggemalt wurden, galt die Fotografie auch als authentischer.
Sie beschäftigen sich mit Landschaft und Architektur, bzw. wie beides sich in der modernen Welt verbindet. Sie interessieren sich für urbane Räume, für eine „gebaute Umwelt“. Die Fotografie entspricht als moderne Technik in besonderer Weise dieser modernen Landschaft viel mehr als die Malerei. Ein Beispiel – und in dieser Ausstellung zu sehen – sind die imposanten, großformatigen Bilder von Autobahn-Böschungen. Auch die Aufnahmen von leeren Innenräumen fügen Sie in unserer Ausstellung ein in das große Thema „Landschaft“. Was reizt Sie an diesen Motiven?

Schink: Mit nur wenigen Bildelementen kann ich etwas aus meiner Sicht Grundsätzliches erzählen. Die Autobahn-Böschungen zeigen sehr unmittelbar unser Streben nach Beherrschung der Natur, aber durch die Faszination, die von Farbe und Material ausgeht, auch die Ambivalenz, die für mich mit diesem Thema verbunden ist. Die „Büro“-Arbeiten sind noch radikaler reduziert. Die Aufmerksamkeit richtet sich so auf die Dinge, die einen Raum ausmachen, in dem sich irgendwann menschliche Tätigkeit abspielt. Und vielleicht auch auf die Frage, wie sich die Atmosphäre des Raumes auf diese Tätigkeit auswirkt. Andererseits bringt diese extreme Reduktion eine ganz eigene ästhetische Qualität die sich aber tatsächlich erst im großen Format der ausgestellten Bilder entfaltet.

Eickhoff: Gegenüber gestellt sind Landschaften von Malern wie Hodler und Munch. Eine Wechselwirkung entsteht, die die Augen für die grafische Anlage von Bildern öffnet. Beide Maler malen ja nicht das, was sie vor sich sehen. Sie erzeugen ein Gefühl, eine Empfindung für Leere, für Raum, obwohl sie im Zweidimensionalen arbeiten. Sie haben diese Bilder von Munch und Hodler ausgesucht für den Auftakt zur Ausstellung. Was fasziniert Sie aus der Sicht des Fotografen an diesen Malern?

Schink: Speziell die beiden Arbeiten „Thuner See mit Stockhornkette“ von Hodler und „Schneeschmelze bei Elgersburg“ von Munch haben einerseits einen ganz konkreten Realitätsbezug wie er auch der Fotografie ursprünglich eigen ist, andererseits weisen sie einen Grad der Abstraktion auf, der sich in meinem Medium mit analogen Mitteln nur äußerst selten erreichen lässt. Ich sehe diese Werke quasi auf halbem Weg zwischen Caspar David Friedrich und Mark Rothko (die sich in ihrer Grundhaltung vielleicht sogar recht nahe waren).

Eickhoff: Im 19. Jahrhundert galt Italien als das Sehnsuchtsland; die Maler suchten Erfüllung ihrer romantischen Sehnsucht. Wir zeigen italienische Landschaften von Oswald Achenbach, Carl Rottmann, Friedrich Nerly und anderen, die ausgesprochen in der Stimmung des 19. Jahrhunderts schwelgen. Sie selbst konzentrieren sich in Ihrer Fotoserie „Aqua Claudia“ dagegen auf ein Monument, die berühmte Wasserleitung Roms aus dem 1. Jahrhundert nach Christus – fast 70 Kilometer lang, die letzten 13 Kilometer in Richtung Stadt führen überirdisch. Das ist eine Kulturlandschaft, in der ein antikes Monument, das sozusagen die Ewigkeit verkörpert, und der Alltag heute aufeinanderprallen. Romantik ist sicher nicht das, was Sie interessiert, wenn Sie in Italien fotografieren?

Schink: Doch, indirekt. Mein Bildgedächtnis ist aus verschiedenen Gründen stark geprägt von romantischer Malerei was meinen fotografischen Blick entsprechend beeinflusst. Besonders bei der Arbeit an der „Aqua Claudia”-Serie hatte ich immer wieder das Gefühl, Motive, die die Italiensehnsucht der Maler des 19. Jahrhunderts inspiriert haben könnten, durch die heutige Realität hindurchscheinen zu sehen. Gleichzeitig war mir bewusst, dass die Sentimentalität der Spätromantik, die unseren Blick auf die Epoche der Romantik insgesamt prägt, schon damals einen hohen Grad an Verdrängung der unerfreulichen Aspekte der Wirklichkeit erforderte. Die Spannung, das Motiv eines römisches Aquädukts, das in der Malerei des 19. Jahrhunderts so ganz anders interpretiert wurde, im aktuellen urbanen Kontext zu zeigen, macht für mich die Faszination dieser Serie aus.

Eickhoff: Alle ihre Fotoarbeiten sind menschenleer, der Himmel ist neutral, keine Bewegung wird suggeriert. Im Vergleich zur Malerei, die spontan, beweglich, offen ist, wird dem Foto schon immer nachgesagt, es wirkt wie der eingefrorene Moment. Das wird in Ihren Arbeiten aus meiner Sicht noch einmal betont. Ich sehe das hier eher im Sinne des Minimalismus, der aus der Reduktion eine größtmögliche Freiheit, einen Spielraum der Betrachtung zulässt. Welche Motivation liegt bei Ihnen zugrunde, wenn Sie etwa Menschen, Wolkenspiel etc. auslassen? Wie bekommen Sie das hin?

Schink: Es ist zuallererst eine Frage der Geduld. In hiesigen Breiten stellt sich irgendwann doch der gewünschte bedeckte Himmel ein. Unter sehr glücklichen Umständen zu dem Zeitpunkt, in dem ich ein Motiv finde. Ansonsten kehre ich zurück. In Rom, bei der Arbeit an der Serie „Aqua Claudia”, war mit solchem Wetter nicht zu rechnen. Alle diese Fotografien entstanden in der kurzen Zeitspanne zwischen dem morgendlichen Ende der Dämmerung und dem Sonnenaufgang. In dieser knappen halben Stunde gelang mir meistens nur eine einzige Aufnahme, und ich musste im Vorfeld genau wissen, wo ich die Kamera aufzustellen hatte. Die Wirklichkeit hat dann allerdings oft nicht mitgespielt, mal parkte ein Auto vor dem geplanten Motiv, mal wollte eine Straßenlaterne einfach nicht ausgehen. Zumindest lief um diese Uhrzeit meist niemand durchs Bild. Wenn also alle Faktoren stimmen, können sich die Fotografien von dem eingefrorenen Augenblick lösen. Da meine Bilder in den meisten Fällen Zeugnisse der Zivilisation zum Objekt haben, ist der Mensch stets indirekt präsent. Die Anwesenheit konkreter Personen macht eine Aufnahme aber zum Dokument einer Szene, eben zu einer Momentaufnahme. Der Fokus wird dann immer auf das gerichtet sein was geschieht und nicht darauf, was ist.

Eickhoff: Eigentlich ging es auch den Landschaftsmalern schon nicht um das Geschichtenerzählen. Die Staffagefiguren beispielsweise bei Friedrich Nerly – ein Künstler, der wie Sie in Erfurt geboren wurde – treten auf wie Fremdkörper in der weiten Natur. Denen ging es um die Erzeugung von Stimmung. Die Maler, die als Schlüsselfiguren der Moderne gelten, erzeugen eine andere Stimmung, Courbet der Realist, Monet der Impressionist, Cézanne, der das, was er sah, auf die Form hin analysierte. Ein Stimmungswechsel, der einen Epochenwechsel anzeigt. Sie alle beschäftigen sich also mit der Frage nach der Abbildbarkeit von Wirklichkeit. Indem man nach der Abbildbarkeit fragt, befragt man auch das Medium. In welchem Verhältnis sehen Sie Ihre Aufnahmen zu dem, was man kennt, was man weiß zur Wirklichkeit?

Schink: Meine Fotografien zeigen immer etwas real Existierendes. Es sind keine Kompositionen im Sinne eines aus verschiedenen Elementen zusammengesetzten Bildes. Und doch sind es keine Dokumente, sondern ein jeweils subjektiver Ausschnitt der Wirklichkeit, ein durch die Wahl des Standorts, der Perspektive, der Technik und des Lichts herausgelöstes Fragment. Dieser scheinbare Widerspruch ist ein Grundprinzip klassischer analoger Fotografie. Auch dieses Medium kann kein objektives Abbild liefern, selbst wenn dieses Missverständnis seine gesamte Geschichte durchzieht. Die Formulierung „ein Bild machen“ trifft es doch sehr gut.

Eickhoff: Sie sind um die ganze Welt gereist. Es gibt Bilder aus Japan und aus Vietnam, Orte, die mit den Reiseländern der Maler des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nichts zu tun haben. Aber Sie sehen dort Landschaften mit den Augen eines in Westeuropa im 21. Jahrhundert „sozialisierten“ und „trainierten“ Künstlers. Es sind Serien von Arbeiten entstanden, die jeweils einem Interesse folgen, einem Ansatz. In unserer Ausstellung führen Sie beispielsweise Bilder eines Waldes in Vietnam zusammen mit Waldbildern aus unterschiedlichen „Malerschulen“ des 19. Jahrhunderts. Wie wählen Sie aus, welcher Idee folgen Sie, wenn Sie reisen?

Schink: Ich folge in der Regel keinem festen Konzept. Es gibt einen gedanklichen Rahmen und eine ungefähre Vorstellung von Inhalt und Atmosphäre eines Projekts. Die eigentliche Form entsteht dann allmählich bei der Arbeit daran. Dabei kommen häufig noch Aspekte ins Spiel, die ich anfänglich gar nicht im Blick gehabt hatte. Mitunter lässt sich eine Idee aber einfach nicht in „meine” Bilder umsetzen. Das war zum Beispiel in Vietnam der Fall. Ich wollte der Frage nachgehen, ob sich 30 Jahre nach Ende des Krieges dieses Ereignis noch unmittelbar an der Landschaft ablesen lässt, ohne Ruinen oder zerstörtes Kriegsgerät im Dschungel zu zeigen. Das wäre mit einem journalistischen Ansatz vielleicht möglich gewesen, bei meiner Arbeitsweise jedoch nicht. Also habe ich die Idee aufgegeben und versucht, mich auf Entdeckungen bei der Reise durch das Land einzulassen.

Eickhoff: Eine ganz neue Bild-Serie wird in der Ausstellung erstmalig gezeigt; Bilder, die Sie unter Wasser gemacht haben. Sie arbeiten gerade an einem – wie ich schon sehen konnte – ganz wunderbarem Katalogbuch dazu. Bei diesen Unterwasserbildern spielt der Zufall eine Rolle, ähnlich bei dem „1h-Projekt“, für das Sie an verschiedenen Orten der Erde den Verlauf der Sonne aufgenommen haben. Das sind sozusagen gefundene Bilder, denen wir Bilder, in denen es um im weitesten Sinne „Übernatürliches“ geht, gegenüberstellen. Wir mit unserem bloßen Auge, können diese Bilder nicht sehen. Wie unterscheidet sich dieses Projekt für Sie von den vorangegangenen, und wo sehen Sie Parallelen?

Schink: Der Zufall spielte eine noch viel größere Rolle als beim „1h-Projekt”, bei dem zumindest das Motiv der jeweiligen Landschaft gegeben war. Den Verlauf der Sonnenlinie konnte ich jedoch nur erahnen und die Entwicklung des Wetters während der einen Stunde der Aufnahme nicht immer vorhersehen. Bei der „Unter Wasser”-Serie habe ich die Kontrolle über das entstehende Bild noch weiter ausgesetzt. Ich bin nicht getaucht, sondern habe die Kamera an Stellen, die mir aus der Draufsicht spannend erschienen, ins Wasser gehalten. Erst im Nachhinein habe ich am Computer aus Hunderten Aufnahmen eine Auswahl getroffen. Während “1h” ganz entscheidend auf den Eigenschaften des analogen Filmmaterials fußt, ist die neue Serie so nur mit digitaler Technik realisierbar gewesen. Die Parallele zu anderen Projekten zeigt sich erst im nächsten Schritt der Aufarbeitung. Ich entscheide mich für Motive, die ich auch beim Blick durch die Kamera als „gültig” empfunden hätte, das heißt, ich lege die gleichen Kriterien zugrunde.

Eickhoff: Das Projekt „Hinterland“ ist in Mecklenburg-Vorpommern entstanden: Sie nehmen nun wieder sozusagen heimatliche Gefilde in den Blick. Hat sich dieser Blick durch die vielen Reisen verändert? Was bedeutet für Sie persönlich diese Rückkopplung?

Ich bin, zumindest in Hinsicht auf meine Arbeit, gelassener geworden. Und die Erfahrung der vielen Reisen hat dazu geführt, dass die Distanz im Blick auf mein eigenes Umfeld geringer geworden ist.

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