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"Scharfkantig, flächig, konkret: Mir gefällt diese Klarheit."

Franziska Holstein, ohne Titel, Wandmalerei, 2023 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 / Courtesy: Galerie Friese, Berlin Foto: Jurit

Ein Interview mit Franziska Holstein

7. Juni 2023 |
BEATE EICKHOFF – KURATORIN

Die zweite „Freundschaftsanfrage“ des Von der Heydt-Museums gilt Franziska Holstein (geb. 1978 in Leipzig). Ihr künstlerische Ansatz, von dem aus die Malerin ihren Bild-Kosmos entwirft, ist sehr konzentriert und basiert auf klaren geometrischen Grundformen sowie einer begrenzten, je Bildserie festgelegten Farbskala. Was sie von der Konstruktiven oder Konkreten Kunst in der Ausstellung unterscheidet, ist ihr prozessuales Arbeiten: Sie entwickelt ihre Tableaus, indem sie Farbschicht auf Farbschicht legt und gleichermaßen strenge wie dynamisch und lebendig wirkende Bildoberflächen schafft. Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Freundschaftsanfrage“ hat Franziska Holstein, geleitet von den Kriterien “scharfkantig, flächig, konkret”, gemeinsam mit der Kuratorin Beate Eickhoff Hauptwerke der Museumssammlung ausgewählt.

Franziska Holstein – Freundschaftsanfrage No. 2 

Noch bis 24. September 2023

 

Beate Eickhoff: Nach welchen Kriterien hast Du die Werke der Sammlung ausgewählt, die in dieser Ausstellung in den Dialog mit Deinen eigenen treten?

Franziska Holstein: Der erste Impuls für die Auswahl kam nicht vor den Originalen, sondern als ich den Katalog der Sammlung Holze in den Händen hielt. Auf dem Umschlag ist ein Ölgemälde von Jo Delahaut aus dem Jahr 1952 abgebildet. Bei unseren Vorgesprächen dieses Bild und die anderen Werke dann im Depot real sehen zu können, war spannend. Die Werke sind alle relativ klein. Bei Reproduktionen weicht die Farbgebung oft ab, auch der Farbauftrag ist selten gut sichtbar. Was die Formensprache angeht, kann man sich aber eigentlich sicher sein, dass sie dem Original entspricht. Die Entscheidung für die Auswahl erfolgte demzufolge erst einmal durch die Wahrnehmung der Form. Natürlich auch im Hinblick und dem Wissen um meine eigenen Arbeiten, die gerade entstanden. Ich habe die Vorstellung gemocht, den Fokus stark durch die genannten Kriterien „scharfkantig, flächig, konkret“ sowohl bei der Sammlungsauswahl als auch bei meinen Werken einzuschränken. Mir gefällt diese Klarheit. Natürlich interessieren mich auch Farbgebung und Farbauftrag. Gemalt und gedruckt sind eigentlich alle Arbeiten, die infrage kamen, mit opakem, relativ dünnem Farbauftrag, tendenziell in einer Schicht. Die Farbtöne fügen sich in der Ausstellung in einen größeren Kanon, der mitgedacht, aber nicht streng vorher aussortiert, sondern eher beim Aufbau feinjustiert wurde und letztlich gut zusammen funktioniert.

 

Eickhoff: Künstler*innen der Konkreten Kunst folgen bestimmten Ordnungsgefügen und malen zumeist, wie Du sagst, flächig. Deine Leinwandarbeiten, auch wenn sie ähnliche Voraussetzungen haben, unterscheiden sich aber grundlegend.

Holstein: Ich habe lange an den Leinwänden gearbeitet. Den Bildern liegt ein nicht enden wollender Prozess aus unzähligen Acrylschichten zugrunde. Die Arbeiten sind parallel entstanden und ungefähr gleichzeitig fertig geworden. Es sind Einzelbilder, die aber in einem gemeinsamen Kosmos aus verwandter Farbskala, Formenrepertoire und Farbauftrag agieren. Gestisches und Farbverläufe können Teil des Prozesses sein, wurden aber final von mir zugunsten einer formalen Reduktion verdeckt. Winzige Malspuren sind zufällig entstanden oder gesetzt. Gleichzeitig erarbeite ich mir neben den Farbentscheidungen ein Formenspektrum, welches letztlich scharfkantig und konkret durch Teilung von Flächen während des Malens entsteht, das sich zuerst spielerisch findet, dann nach und nach präzisiert wird und dem letztlich ein einfaches, aber konsequentes System zugrunde liegt. Es findet in Variationen auf allen Einzelbildern Ausdruck. Serialität interessiert mich. Diese ist sowohl von Bild zu Bild als auch verdeckt innerhalb der Werke durch die vielen Schichten präsent. Zu Beginn male ich mit dem Wissen, dass die entstandenen Farbflächen später wieder übermalt werden. Ich weiß um das Überdecken. Ich mag diese Art der Beschäftigung mit dem Bild als Objekt. Der Keilrahmen mit der aufgespannten Leinwand trägt mehr und mehr Farbmasse und wird immer schwerer. Diese Auseinandersetzung ist für mich eine elementare Form der Aneignung und gibt mir Zeit. Im Verlauf dieser kristallisiert sich ein Farbkanon heraus.

 

Eickhoff: Wie kommst Du zu Deinen Farben?

Holstein: Ich wähle mir vertraute Töne, seltener fremde, reagiere auf Werke, die früher entstanden sind, auch auf meine räumliche Umgebung des Ateliers. Ich liebe die Entscheidungen, die ich dabei treffen kann, das Mischen, der Farbauftrag. Reste der Handlungen sind an den Rändern und aus der Nähe als Strukturen auf der Bildoberfläche sichtbar. Intuition und Reflexion, da gibt
es beides. Mit „vertraut“ meine ich nicht die einzelnen Töne, sondern das Miteinander. Das hat mit der Umgebung zu tun, in der ich mich befinde. Es kann sein, dass ein Farbklima vom Atelier oder dem Haus, in dem ich arbeite, in meinen Bildern auftaucht. Sowas merkt man manchmal auch erst zeitversetzt. Andersherum kann das auch passieren. Der Arbeitsraum wird nebenbei so eingerichtet, dass eine Farbpalette entsteht, welche sich dann auch in den Bildern wiederfindet. Die Motive der Siebdrucke stehen im Gegensatz zu denen der Leinwandarbeiten schon vor dem Druckvorgang fest. Meine aktuelle Serie ist einfarbig in Cyan gedruckt. Ich verwende in meinen grafischen Arbeiten oft diesen Ton, ebenso in der Malerei. Blau ist für mich in gewisser Weise ein neutraler Farbton. Bei den Drucken geht es im Kontrast zu den Malereien weniger um die Farbe an sich, sondern um die Definition und Abgrenzung der Flächen durch den Farbton untereinander.

 

Eickhoff: Wie entscheidest Du, wann eine Leinwand fertig ist?

Holstein: Da gibt es sehr unterschiedliche Modi, verschiedene Blickwinkel und Faktoren, aus denen heraus ich diese Entscheidung treffe. Wann, wie und warum man ein Bild beendet, ist ein Thema (neben dem, wie man anfängt), durch das man viel über sich selbst und die eigene Haltung erfahren kann. Es hat mit Zeit zu tun, wobei ich damit nicht die messtechnisch erfassbare Zeit meine, sondern vielmehr Intensität und Kontinuität. Mein Schwerpunkt liegt eher auf dem Prozess. Ich mag es, wenn Bilder noch eine Weile im Atelier stehen, bevor sie ausgestellt werden. Aneignung des Materials spielt auch eine Rolle. Es hat zudem eine Auswirkung, welche Bilder parallel entstehen, wie diese miteinander im Verhältnis stehen, was dazwischen passiert. Die Leinwände aus der Ausstellung sind alle auch Einzelbilder, aber seriell gedacht. Es soll Wiederholungen, Farbverwandtschaften geben, aber auch Eigenheiten und Differenzen.

 

Eickhoff: Hast Du während des Malens alle Leinwände, alle Bildflächen, die zusammen ein Ganzes
bilden werden, auf einmal im Blick?

Holstein: Die Leinwände haben keine festgelegte Reihenfolge, ich habe die Bilder dennoch alle gleichzeitig im Blick. Die Anzahl könnte variieren, sodass im Prinzip auch noch welche dazu kommen dürfen, ähnlich wie bei anderen früheren Serien. Es gibt aber durchaus auch Projekte, in denen Anzahl und Reihenfolge klar definiert sind, was sich aus dem untersuchten Inhalt der jeweiligen Arbeit ergibt.

 

Eickhoff: Welche Rolle spielen die Wandmalereien?

Holstein: Während des Malens halte ich Zwischenstadien der Leinwände in kleinformatigen Papierarbeiten fest. Ebendiese bilden die Vorlagen für die Wandmalereien. Ich finde es spannend zu beobachten, was im Ausstellungskontext passiert, wenn man einem Nebenprodukt, den Bildern zwischen den Schichten, welche sonst nur mir sichtbar sind, Beachtung schenkt. Malen hat für mich viel damit zu tun, Entscheidungen zu treffen. Aus Zwischenstadien Wandmalereien zu machen, fühlt sich als enormer gedanklicher Raum an, den ich mir gebe. Das hat einerseits mit der Ausstellungsplanung zu tun, dieses „in-einem-kleinen-Atelier-arbeiten-aber-große-Wände-bespielen-können“, die Möglichkeit macht mich flexibler. Das Ganze wirkt sich zurück aus auf den Arbeitsprozess im Atelier. Ich kann hartnäckiger nach meinen Motiven suchen, wenn es auf dem Weg dahin nebenbei noch Anderes zu entdecken gibt. Ich finde es auch gut, wenn eine Arbeit großflächig, aber nur temporär ist und nach dem Ausstellungsende wieder überstrichen wird.

 

Eickhoff: Welche Rolle spielt die Druckgrafik?

Holstein: Ich arbeite im Siebdruck, aber auch im Handoffset und in der Lithografie. Ich nutze sie verwandt, die meisten Motive hätte ich in jeder der verschiedenen Techniken drucken können. Dennoch gibt es feine techniktypische Unterschiede in der Vorbereitung, beim Druckprozess und beim Ergebnis. Am Siebdruck mag ich besonders die Abfolge aus dem Belichten, Beschichten, Drucken, Auswaschen. Ich denke auch hier immer seriell. Es geht um formale Variationen und das Finden von kompositorischen Gliederungsprinzipien. Die Serien stelle ich in Blöcken, selten solo aus. Trotzdem gibt es Umsetzungen als einzelne großformatige Poster oder Wandmalereien. Ebenso gefällt mir die Vorstellung einer Auflage. Ich finde es gut, mehrere Exemplare einer Arbeit zu haben. Auch die Flachheit von Druckgrafik finde ich insbesondere im Unterschied zu meinen dick gemalten Leinwänden relevant. Alle grafischen Motive sind vor dem Druckvorgang erdacht. Der erste Ansatz einer neuen Serie ist intuitiv und spontan, dann folgen lange Überlegungen, viel Probieren, Festlegen der Arbeitsweise und der Umsetzung. Ich mache Skizzen und Collagen, einiges wurde am Rechner vorbereitet. Dann in der Werkstatt geht es um den repetitiven Vorgang des Druckens und um die bildnerische Umsetzung einer vorher erdachten Idee. Wobei mich die Feinjustierung, die innerhalb des drucktechnischen Verfahrens stattfinden kann, sehr interessiert: welche Farbtöne wähle ich, wie deckend wird gedruckt, wie präzise treffen die Kanten der Farbflächen aufeinander? Der Vorgang selbst bedeutet Vervielfältigung, ebenso Einebnen von Oberfläche, wenn ich zum Beispiel von Collagen ausgehe und das Motiv dann ganz flach, eindimensional wird.

 

Eickhoff: Die Präsentationsform von Josef Albers Interaction of Color ist von Dir bewusst so gewählt worden und durchaus ungewöhnlich.

Holstein: Die Siebdrucke aus dem Buch Interaction of Color von Josef Albers liegen auf einem Tisch. Der Tisch hat eine Tiefe von 2,75 m, eine Breite von 6,76 m und ist 0,6 m hoch. Die Größe ist durchaus besonders, resultiert aber ganz einfach aus der Menge der Blätter, damit alles auf einen Blick wahrnehmbar ist. Von Bedeutung ist für mich die Vollständigkeit der Serie; dass alles gleichzeitig gezeigt wird. Da gibt es eine Parallele zu meinen eigenen seriellen Arbeiten. Ich mag dieses Sich-einen Überblick verschaffen. Das einzelne Blatt kann betrachtet werden, aber wichtiger für mich ist das Gesamtbild. Über die Begriffe »Lehrbuch« oder »Kunstwerk« mache ich mir nicht so viele Gedanken. Die Übergänge sind fließend.

Das Gespräch stammt aus dem Katalog zur Ausstellung,

herausgegeben von Dr. Roland Mönig, Redaktion: Dr. Beate Eickhoff

 

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