Das Projekt ist ein Beispiel dafür, wie mit Kunstwerken von NS-Künstlern im öffentlichen Raum umgegangen werden kann. Hauptgegenstand der Auseinandersetzung ist die Bronzeplastik „Pallas Athene“ von Arno Breker, die 1957 am Eingang zum Schulgelände des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal-Elberfeld aufgestellt wurde. Seit die „Pallas Athene“ im Jahr 2003 aus Protest von ihrem Sockel gestoßen wurde, wird immer wieder über ihren Verbleib am Standort diskutiert. Im Dezember 2019 gipfelte die Auseinandersetzung in einer öffentlichen Podiumsdiskussion, in der es um die Frage ging: „Soll ein Breker vor einer Schule stehen?“. Es wurde darüber diskutiert, ob man das Kunstwerk mit moderner Formensprache vom belasteten Künstler trennen kann, inwiefern die Pallas Athene an dem Standort noch für nationalsozialistisches Gedankengut steht und wie es um die künstlerische Qualität der Plastik steht. Teilnehmende waren Isabel Pfeiffer-Poensgen, ehemalige Ministerin für Kunst und Wissenschaft, Brigitte Franzen, ehemals Vorstandsvorsitzende der Irene und Peter Ludwig-Stiftung, Dr. Felix Krämer, Direktor des Museums Kunstpalast, Matthias Nocke, Kulturdezernent der Stadt Wuppertal, sowie der Geschichtslehrer Martin Schulte und zwei Schülerinnen des Gymnasiums. Die Skulptur abzureißen, wurde von der Mehrheit abgelehnt und ist aus denkmalschutzrechtlicher Sicht nicht erwünscht. Stattdessen wurde beschlossen, einen Wettbewerb für einen künstlerischen Kommentar aus zeitgenössischer Sicht auszuschreiben.
Ziel des Wettbewerbs war es, für den Standort einen signifikanten künstlerischen Beitrag zu entwerfen, der zur kritischen Auseinandersetzung mit der „Pallas Athene“ beiträgt und dem Ort im Zusammenwirken mit der baulichen Situation einen unverwechselbaren Ausdruck verleiht. In dem zweiphasigen Verfahren hat die berufene Fachjury das Konzept der bosnisch-österreichischen Künstlerin und Architektin Azra Akšamija ausgewählt.
Der Wuppertaler Künstler Arno Breker (1900–1991) war als typischer Vertreter des heroisierenden Neoklassizismus in exponierter Weise mit dem nationalsozialistischen Regime verknüpft: Staatsbildhauer, „Gottbegnadeter“ und Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers, einer der wichtigsten und stilbildenden Repräsentanten nationalsozialistischer Kunstanschauung, z.B. durch seine Monumentalskulpturen für das Olympiastadion 1936 und die Neue Reichskanzlei 1938. Brekers Werk erfüllte vor allem durch seine Präsenz in der Massenpublizistik die Propagandafunktion, für die sein Name bis heute steht. Nach 1945 erhielt der gut vernetzte Breker, der im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ eingestuft wurde, weiterhin zahlreiche Aufträge aus öffentlicher wie privater Hand. Der Architekt Friedrich Hetzelt, ab 1953 Beigeordneter in Wuppertal, hatte unter anderem das neue Stadtbad (Schwimmoper) entworfen und war ständiges Mitglied der Kunstkommission. Da er während der NS-Zeit von Brekers Freund Albert Speer in die Planungen zur Neugestaltung der Reichshauptstadt einbezogen worden war, bestanden alte Verbindungen zu Breker. So wurde Breker 1954 auch in Wuppertal zu einem beschränkten Wettbewerb für ein Kunstwerk für den Neubau des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium eingeladen, aus dem sein Entwurf einer an das humanistische, altsprachlich orientierte Gymnasium angepassten Pallas Athene in modernem Stil als Siegerkonzept hervorging. Pallas Athene ist eine Göttin der griechischen Mythologie. Sie ist die Göttin der Weisheit, der Kampfstrategie, des Handwerks und der Kunst. Zudem ist sie die Schutzgöttin von Athen. Neben Breker reichten zwei weitere Wuppertaler Künstler Konzepte ein: Hans Rompel (1910–1981) und Fritz Bernuth (1904–1979).
Azra Akšamija (*1976) macht nach eigener Aussage Kunst für eine entfremdete Welt. Ihre Kunst ist stets interaktiv und verwandelt passive Zuschauende in aktive Teilnehmende. Sie lädt dazu ein, sich mit den sozialen, politischen und ökologischen Themen auseinanderzusetzen. So ist auch ihr Werk „Eulensicht“ „eine interaktive Skulptur, die die komplexe historische Symbolik der Pallas Athene (…) untersucht und der Schülerschaft zugänglich macht.“ (Aus dem Konzept der Künstlerin). Sie fügt der „Pallas Athene“ als ihr fehlendes Attribut, um als Göttin der Weisheit und des Schutzes erkennbar zu sein, eine bronzene Eule als symbolische Fußnote hinzu. Die Eule repräsentiert das Attribut der Weisheit und Intelligenz.
Die säulenförmige Eulen-Skulptur ähnelt einem münzbetriebenen Fernrohr, das sich durch eine Mechanik auf die jeweilige Augenhöhe einer Person anpassen lässt. Sie macht die „Schattengeschichten“ im Zusammenhang mit Brekers problematischem Erbe sichtbar. Beim Benutzen des Fernglases nehmen die Betrachtenden die Sicht der Eule ein und somit symbolisch die Weisheit der Eule an. Durch die Ferngläser sieht man Brekers „Pallas Athene“, umrahmt von einer schablonenhaften Silhouette der Pallas Athene, die die Aneignung der griechischen Göttin durch die Nationalsozialisten darstellt. Die Silhouette der Pallas Athene erschien erstmals auf einer Plakette zum Reichsparteitag im Jahr 1933. 1937 wurde das nahezu identische Motiv als Titelblatt des Katalogs zur „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München verwendet. Dieser Athene-Kopf, ergänzt um eine Fackel und einen Reichsadler mit dem Hakenkreuz in den Fängen, wurde schließlich 1938 als ständiges Titelblatt der Zeitschrift „Die Kunst im Deutschen Reich“ verwendet und avancierte damit gleichsam zum Logo einer im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie „deutschen“ Kunst.
Zum Werk gehört auch eine landschaftliche Umgestaltung. Die Eulen-Skulptur wird ebenerdig auf dem erhöht gelegenen Schulgelände stehen und von der Straße aus über eine Treppenarchitektur begehbar sein. Angelehnt an Wilhelm Dörpfelds bedeutende Rolle in der Archäologie, sollen die mit Stein in verschiedenen Farbnuancen verkleideten Stufen an sedimentierte Bodenschichten erinnern.
Bei Nacht kommt eine weitere Dimension hinzu: Die Pallas Athene wird angeleuchtet, sodass die Figur einen monumentalen Schatten auf die gegenüberliegende Wand wirft. Man wird an die Skulpturen erinnert, die Breker für die Propagandabauten des nationalsozialistischen Regimes errichtet hat. Das mahnende Moment wird unterstützt durch folgendes Zitat des Philosophen George Santayana (1863–1953): „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt sie zu wiederholen.“ Es wird mit fluoreszierender Farbe auf die Wand aufgebracht, sodass es nur sichtbar sein wird, wenn Licht darauf fällt.
Die Einweihung des Werks „Eulensicht“ ist für Juni 2025 geplant.