Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Ausstellung über das Museum und seine Aufgaben zu machen?
Anna Baumberger: Mit Blick auf das Jubiläum zum 125-jährigen Bestehen der Museumsgründung im Jahr 2027 beschäftigen wir uns aktuell mit vielen Fragen, die in der Ausstellung bearbeitet werden.
Was macht ein Museum aus und wie stellen wir es uns in Zukunft vor? Woher kommen wir und was macht unsere Institution heute aus? Welche Aufgaben erfüllen wir als Mitarbeiterinnen in einem Museum und welche Aufgaben hat die Institution Museum zu erfüllen? Ändern sich diese Aufgaben? Heute oder in Zukunft? Welche Wünsche haben wir an das Museum und welche Wünsche haben unsere Besucher*innen? Und was ist eigentlich unser Kern?
Henrike Stein: Um uns Antworten auf diese Fragen zu nähern, haben wir eine Art Standortbestimmung gemacht; sowohl historisch als auch gegenwärtig. Unsere Sammlung – das Herzstück des Museums – spielt dabei eine zentrale Rolle. Und ganz wichtig: Wie gehen wir weiter? Die Ausstellung soll und kann selbstverständlich nicht alle Fragen beantworten, aber unser Wunsch ist es, dass unsere Besucher*innen und wir gemeinsam über museale Fragen nachdenken und in einen Dialog kommen. Deswegen laden wir in der Ausstellung auch aktiv dazu ein, sich zu beteiligen, zu reflektieren, selbst tätig zu werden und die Sammlung zu befragen, Feedback zu geben und Wünsche zu äußern.
Anna Baumberger: Dieser Anspruch, das Museum, seine Geschichte und vor allem die Sammlung in ihrer Vielfalt und Breite zu beleuchten, ließ uns schnell das Bild des Alphabets finden. Das vor uns stehende Jubiläum gab dann den Impuls, dass die Ausstellung „Museum A bis Z. Von Anfang bis Zukunft“ heißen soll.
An wen richtet sich die Ausstellung?
Henrike Stein: Die Ausstellung ist für alle und jede*r ist willkommen. Wir hoffen, dass wir unterschiedlichste Personen ansprechen, unabhängig davon, ob sie unser Museum bereits kennen oder zum ersten Mal in einem Museum sind. Gleichzeitig haben wir uns vor dem Hintergrund unserer zentralen Lage in der Wuppertaler Innenstadt auch gefragt, wie wir neue Zielgruppen erreichen können. Die Idee: das Museum und seine Sammlung zeigen, erklären, woher wir kommen und fragen, wo wir in Wuppertal und darüber hinaus gemeinsam hingehen wollen.
Anna Baumberger: Das Von der Heydt-Museum versteht sich als offener Ort, der den offenen und multiperspektivischen Dialog ermöglicht und auch braucht. Die Zukunftsfähigkeit eines Museums hängt auch am gegenseitigen Zuhören, um sich weiterzuentwickeln und die Themen der Zeit wahr- und aufnehmen zu können. Das Museum steht nicht isoliert von Zeit und Gesellschaft, sondern ist Teil von ihr. Daher befindet sich das Museum im steten Wandel und ist immer eine Institution ihrer Zeit.
Wie haben Sie die Kunstwerke aus der Sammlung ausgewählt?
Anna Baumberger: Die Ausstellung ist auf vier Räume aufgeteilt, die jeweils ein übergeordnetes Thema behandeln. Der strukturelle rote Faden und die Leitlinie der Ausstellung ist das Alphabet von A bis Z.
Im ersten Raum widmen wir uns beispielsweise den Buchstaben A wie Anfang, C wie Chronologie der Museumsgeschichte bis F (Förderer). Was bietet sich da besser an, als das erste Gemälde der städtischen Sammlung in Elberfeld auszuwählen? Gleichzeitig bieten wir mit Toulu Hassani eine zeitgenössische Position, die den Rahmen „Von Anfang bis Zukunft“ vorgibt und auf die Ausstellung einstimmt.
Henrike Stein: Auf diese Weise fahren wir in den folgenden drei Räumen fort: Raum 2 stellt das Globale und das Lokale in der Sammlung gegenüber: Wuppertaler Ansichten und Objekte aus Südostasien und dem Kongo. Unter P wie Provenienzforschung wird das Beispiel „Bildnis Felix Benjamin“ von Max Liebermann intensiv vorgestellt. Und im vierten Raum wird unter S wie Sammeln und Sortieren die volle Breite der Sammlung, Gemälde, Skulpturen und Kunsthandwerk gezeigt. Um die Vielfalt zu zeigen, haben wir aus unserer großen und umfangreichen Sammlung treffende Beispiele ausgewählt: von Max Pechstein bis Gerhard Richter, von Rosalba Carriera bis Ottilie Roederstein. Die Werkauswahl zeichnet sich sicher dadurch aus, dass wir neben bekannten Werken auch besonders stolz darauf sind, einige unbekanntere Positionen und wirklich viele verborgene oder vergessene Schätze zu zeigen. Teilweise sind die Werke noch nie ausgestellt gewesen.
Die Objekte und Gemälde sind teilweise überraschend angeordnet. Was wollten Sie damit bezwecken?
Anna Baumberger: Es mag zunächst überraschen, dass wir andere Zugänge zum Sortieren von Kunstwerken jenseits des Inhalts gesucht haben. Wir haben unter dem Buchstaben X beispielsweise eine Auswahl von europäischen und außereuropäischen Figuren ihrer Größe nach von XXS zu XXL geordnet. Das bricht durchaus mit „klassischen“ Präsentationsformen, die in der Regel eine Ordnung nach Epochen, Stilrichtungen oder Bildthemen vorsieht. An anderer Stelle haben wir nach Material geordnet. Wir wünschen uns, dass die Besucher*innen auf diese Weise einerseits die Vielfalt unserer Objekte erfahren können und gleichzeitig Ordnungsstrukturen überdenken, durch überraschende Nachbarschaften von Objekten Unterschiede oder Gemeinsamkeiten feststellen und in den Dialog über die Kunstwerke kommen.
Was fanden Sie überraschend an der Recherche?
Henrike Stein: Ich habe mich im Vorfeld sehr intensiv mit den Sammlungsbereichen des Kunstgewerbes und der außereuropäischen Kunst beschäftigt. Das war sehr spannend und in vielerlei Hinsicht überraschend, denn die Bereiche sind heute weniger bekannt als früher. Sammlungshistorisch gesehen hatte das Kunstgewerbe einen sehr viel höheren Stellenwert. Das Museum hieß sogar zwischenzeitlich „Städtisches Museum für Kunst und Kunstgewerbe“.
Die Sammlung enthält auch einige außereuropäische Objekte. Wo stammen sie her und wie ist der Stand der Forschung diesbezüglich?
Henrike Stein: Ja, auch wenn es nie dem Sammlungsprofil des Museums entsprach und auch heute nicht entspricht, gibt es im Museum einige außereuropäische Objekte, die vor allem von Eduard von der Heydt ans Museum übergeben worden sind. Dazu zählt eine 68 Stück umfassende Textiliensammlung aus dem heutigen Indonesien und wenige Dutzend Objekte aus Asien und Afrika. Teile davon wurden in der Vergangenheit immer mal wieder in Auswahl ausgestellt. Vor dem Hintergrund aktueller Debatten um die sogenannten kolonialen Kontexte unserer Sammlung müssen wir die Objekte neu und intensiver als bisher unter die Lupe nehmen und weiter beforschen. Eine systematische Dokumentation ist dabei ein wichtiger Schritt, um zu sehen, welche Objekte aus kolonialen Kontexten stammen, was wir darüber schon wissen und was noch offene Fragen sind. Transparenz ist uns da ganz wichtig.
Anna Baumberger: Ganz richtig. Ein zentrales Instrument dabei ist die Provenienzforschung. Wo kommen die Objekte her? Wie hat Eduard von der Heydt sie erworben? Und welche Objektgeschichten haben sie? Das ist eine große Herausforderung, denn die Quellenlage ist teilweise dünn und die kolonialen Verflechtungen komplex.
Es sind auffallend viele Künstlerinnen in der Ausstellung vertreten. Warum?
Anna Baumberger: Es ist doch bemerkenswert, dass es auffallend ist, oder? Und es ist wohl leider wirklich eher ungewöhnlich. Auch in unserer Sammlung stammen nur 138 Gemälde von Künstlerinnen. Das sind etwa 6,5 Prozent, was aktuell auch in der Schau „Zeiten und Räume. Klassiker der Sammlung“ kritisch benannt wird.
Dass wir für das Thema Vielfalt in der Gemäldesammlung ausschließlich auf Positionen von Künstlerinnen zurückgreifen konnten, ist also als subtiler Kommentar zur Vielfalt in Museumssammlungen allgemein und im Speziellen im Von der Heydt-Museum zu verstehen.
Henrike Stein: Dass die Art der Auswahl auffällt, ist der Beginn einer Auseinandersetzung mit dem Thema und genau das wollten wir erreichen!
Auch der Provenienzforschung ist ein Kapitel gewidmet. Wie wichtig ist diese Aufgabe für das Museum?
Anna Baumberger: Die Provenienzforschung gehört seit jeher zu den Aufgaben eines Museums. Sie ist Teil der Sammlungsdokumentation. Wir haben die Aufgabe, die Herkunft eines Objekts und seine Geschichte zu recherchieren und zu dokumentieren. Ein Objekt ist immer auch verbunden mit den Menschen und Orten, die mit ihm in Berührung waren. Sie hinterlassen Spuren am Objekt und können seine Bedeutung verändern. Das Wissen um die Provenienz lässt uns ein Objekt erst umfassend verstehen.
Die Konzentration auf die Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern ist darüber hinaus eine moralische Verpflichtung. Die Stadt Wuppertal als Träger des Von der Heydt-Museums nimmt diese Verpflichtung sehr ernst und hat als eine der wenigen Kommunen in NRW eine feste Stelle für Provenienzforschung eingerichtet.
Henrike Stein: Dass wir uns daneben nun auch intensiver mit der Provenienzforschung von Objekten aus kolonialen Kontexten beschäftigen, wurde schon thematisiert. Das Forschungsfeld erweitert sich also und wird an grundsätzlicher Bedeutung für kulturgutbewahrende Institutionen zunehmen.
Warum ist der Fall des „Bildnis Felix Benjamin“ ein positives Beispiel für eine Restitution?
Anna Baumberger: Das „Bildnis Felix Benjamin“ von Max Liebermann wurde 2023 an die Erbeserben der Familie Benjamin restituiert und anschließend zurückerworben. In der Ausstellung erzählen wir die Geschichte des Gemäldes, das der Familie Benjamin NS-verfolgungsbedingt verloren ging, und wir erzählen die Geschichte der Familie Benjamin, die Opfer des Holocaust war.
Das Gemälde hat seitdem eine besondere Bedeutung für unsere Sammlung. Es erinnert einerseits an das Schicksal der Familie Benjamin und wird andererseits die grundsätzliche Bedeutung des Erinnerns an den Holocaust wachhalten.
Wie sieht das Museum in der Zukunft aus?
Henrike Stein: Das ist eine gute Frage, und ich glaube, wir haben alle Ideen für ein Museum von morgen. Und wenn nicht, gibt unsere Ausstellung vielfältige Denkanstöße und Impulse dafür. Uns war es aber vor allem wichtig, die Zukunft des Von der Heydt-Museums zu thematisieren, und zu fragen, was unsere Besucher*innen sich für die Zukunft des Hauses vorstellen. Y steht ja vor Z im Alphabet. Und unter Y geht es bei uns um You, um Dich. Was willst du in Zukunft von deinem Museum?
Anna Baumberger: Natürlich sind wir überzeugt, dass es in Zukunft Museen geben wird. Sie sind wichtige Konstanten, Wissensspeicher, Archive für Kulturgut und Kunst. Und sie bleiben relevant, da sie Diskurs und Austausch fördern, da sie Denkanstöße geben können und Orte der Begegnung sind. Das wollen wir in dieser Ausstellung zeigen. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung ist auch wichtig: Museen sind wichtige Orte der Demokratie und müssen es unbedingt bleiben.
Die Fragen stellte Marion Meyer