Sich selbst sah der deutsche Künstler Max Beckmann (1884-1950) in der Nachfolge der großen Klassiker der Kunst. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter der Moderne in Europa. Zwar schloss er sich nicht bewusst einer avantgardistischen Strömung des 20. Jahrhunderts an, doch haben Impressionismus, Expressionismus und Neue Sachlichkeit Spuren in seinem Werk hinterlassen. Dabei hielt Beckmann entgegen der Tendenz der Moderne, traditionelle Gattungen aufzulösen, an den klassischen Genres wie Porträt, Stillleben oder Landschaft fest. Und so sehr er dem malerischen Experiment zugetan war: Immer hielt er am gegenständlichen Bild fest. Sein wichtigstes Thema war der Mensch und sein Schicksal.
Zeitlebens ließ Beckmann sich von Gauklern, Artisten und Varietékünstlern faszinieren, denen er viele Bilder widmete. In dem Werk, um das es heute geht, scheint der Betrachter in einem engen, zusammengezimmerten Varieté zu sitzen. Über den Köpfen den Zuschauer erblickt man, eng gedrängt, vier unterschiedliche Aktionen gleichzeitig. Links im Bild sieht man eine Tänzerin, die ein Bein zum Spagat nach oben spreizt, rechts einen Feuerspeier in gelbem Mantel, der gleichzeitig mit Ringen jongliert. Dahinter liegt eine voll bekleidete Frau auf drei senkrecht aufgerichteten Schwertern, die sie zu durchbohren scheinen. In den Kulissen sieht man eine Vier-Mann-Kapelle.
Beckmann malte das Bild zwischen dem 14. August 1941 und dem 30. Januar 1942 im Exil in den Niederlanden. Am 19. Juli 1937, nach Hitlers Hassrede gegen die sog. „Entartete Kunst”, war er mit seiner Frau geflohen und nach Amsterdam gezogen, wo auch seine Schwägerin lebte. Seine Werke waren von den Nazis beschlagnahmt und als „entartet“ verfemt worden. In Amsterdam erlebte Beckmann Besatzungszeit, Bombenkrieg und Befreiung. Nach Deutschland kehrt er nicht mehr zurück, obwohl ihm viele Universitäten Professuren anboten. 1949 zog er mit seiner Frau nach New York, wo er an der Brooklyn Museum Art School unterrichtete. Zu dieser Zeit galt er in den USA als der bedeutendste lebende deutsche Künstler. Lange war ihm der Ruhm nicht vergönnt: Er starb 1950 im New Yorker Central Park an einem Herzinfarkt.
Das Gemälde „Großes Varieté mit Zauberer und Tänzerin“ von 1942 wurde 1971 für unsere Sammlung erworben und bildet zusammen mit acht weiteren Gemälden sowie 110 Papierarbeiten einen umfangreichen Werkblock, der einen besonderen Schwerpunkt im Von der Heydt-Museum markiert. Mit seinen ausdrucksstarken Bildern hat Beckmann sich einen herausragenden Platz in der europäischen Kunst des 20. Jahrhunderts erobert. Den Vergleich mit Picasso, wie ihn unsere Ausstellung „Pablo Picasso | Max Beckmann. Mensch – Mythos – Welt“ zurzeit bietet, muss er durchaus nicht scheuen. Nicht nur teilt er mit dem spanischen Jahrhundertkünstler die Faszination fürs Theater und für den Zirkus als Sinnbilder des Lebens und des Künstlertums. Auch der Wunsch, „den Menschen ein Bild ihres Schicksals zu geben“, wie Beckmann selbst es formulierte, verbindet ihn mit Picasso.