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Provenienzfor­schung am Von der Heydt Museum

Anna Baumberger, Provenienzforscherin am Von der Heydt-Museum

Verantwortung und Erinnerungsarbeit: TAG DER PROVENIENZFORSCHUNG

13. APRIL 2022 |
ANNA BAUMBERGER, PROVENIENZFORSCHUNG

Seit 2019 veranstaltet der Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. einmal jährlich den Tag der Provenienzforschung und bringt damit das Forschungsfeld in die Öffentlichkeit. Über 100 Aktionen von und in Museen, Bibliotheken, Archiven und anderen Institutionen finden in diesem Jahr statt. Zum Tag der Provenienzforschung gebe ich einen Einblick in meine Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung am Von der Heydt-Museum.

WAS IST PROVENIENZFORSCHUNG?

Die Frage der Provenienz (= Herkunft) eines Kunstwerks ist schon immer eine zentrale Methode der Kunstgeschichte. Die Rekonstruktion der Objektbiografien ist besonders in Museen von Bedeutung. Museen haben die Aufgabe, die Werke ihrer Sammlung zu bewahren und zu erforschen. Mit dem Wissen um die Provenienz lernen wir das einzelne Kunstwerk und die Geschichte der Sammlung und damit auch unserer Institution besser zu verstehen. Wir fragen uns, warum und in welchem Kontext ein Kunstwerk entstanden ist. Uns interessiert, wo sich das Werk zu welchem Zeitpunkt befunden hat und in wessen Besitz es war. Provenienzforschung meint also die Recherche und Dokumentation aller Besitzer:innen- und Ortswechsel eines Kunstwerks von seiner Entstehung bis heute; und auch die „Lücken im Lebenslauf“ werden in die Objektbiografie aufgenommen. Seit Oktober 2020 widme ich mich der umfassenden Herkunftsforschung zu den Kunstwerken des Von der Heydt-Museums. Der Schwerpunkt meiner Arbeit besteht darin, unrechtmäßige Besitzer:innenwechsel in der Zeit des Nationalsozialismus zu ermitteln. Daher stelle ich zunächst immer die Fragen, ob ein Kunstwerk vor 1946 entstanden ist und ob es nach 1933 in die Sammlung gelangt ist. Wenn ich einen Entzugsvorgang, z. B. durch Raub, Beschlagnahme oder Zwangsverkauf, nachweisen kann, gilt es nach den sogenannten Washingtoner Prinzipien, den Grundsätzen der Washingtoner Konferenz zu Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust im Jahr 1998, eine „gerechte und faire Lösung“ zu erarbeiten. Das kann beispielsweise eine Rückgabe (= Restitution) an die ursprünglichen Besitzer:innen oder ihre Erben sein.
Caspar Netscher, Dame am Fenster, 1666 – Restitution an die Erben nach Hugo und Elisabeth Jacoba Andriesse, Belgien, 2014
Im Jahr 2014 wurde beispielsweise das Gemälde “Frau am Fenster” von Caspar Netscher an die Erben der Eheleute Andriesse restituiert. Hugo und Elisabeth Jacoba Andriesse hatten ab 1939 ihre Kunstsammlung im Bunker des Königlichen Museums in Brüssel eingelagert. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft waren sie nach der Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen 1940 zur Flucht gezwungen und emigrierten über Portugal in die USA. Ihren Besitz mussten sie zurücklassen, er wurde 1941/42 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Das Gemälde gelangte schließlich 1950 über die Kölner Galerie Abels an den Sammler Rudolf Ziersch aus Wuppertal, der Vorsitzender des Kunst- und Museumsvereins war und es dem Museum 1952 schenkte. Da es sich um einen eindeutigen Fall eines sogenannten NS-verfolgungsbedingten Entzugs handelt, entschied der Rat der Stadt Wuppertal für die Rückgabe des Gemäldes.

ES IST VIEL ZU TUN

Das Von der Heydt-Museum besitzt über 2.000 Gemälde, 500 Skulpturen und 30.000 Grafiken. Dazu kommen noch kunstgewerbliche Objekte und Gegenstände, die aus außereuropäischen Ländern stammen, z. B. Textilien aus Südostasien oder einzelne Holzskulpturen aus Afrika. Um den Gesamtbedarf an Provenienzrecherchen in unserem Haus zu ermitteln, führe ich zunächst eine Vorkategorisierung aller Kunstwerke durch. In diesem ersten Schritt schaue ich mir die Inventarbücher des Museums und die bereits in der Objektdatenbank erfassten Objekte an und ordne sie nach einem Ampelsystem von grün (unbelastet), über gelb (unklar), orange (verdächtig) bis rot (belastet). Bislang habe ich knapp über 10.000 Objekte vorgeprüft. Fast die Hälfte unserer Sammlung konnte ich als unbelastet bewerten, weil die Kunstwerke entweder vor 1933 in die Sammlung gelangt, nach 1945 entstanden oder auf einem nachweislich legalen Weg in das Museum gekommen sind. Für 47 % der Kunstwerke ist die Provenienz bisher unklar und muss noch erforscht werden. Bei 377 Objekten (= 4 %) liegt ein Verdachtsmoment vor. Diese Kunstwerke werde ich als erstes in den Blick nehmen. In zwei Fällen konnte ich bereits einen NS-verfolgungsbedingten Entzug nachweisen und nun wird eine „gerechte und faire Lösung“ erarbeitet.

Digital erfasste und kategorisierte Sammlungsobjekte aus dem Bestand des Von der Heydt-Museums und des Kunst- und Museumsvereins, Wuppertal (Stand: 6.4.2022)

VOM ERSTCHECK ZUR TIEFENRECHERCHE

Steht die Ampel auf Orange oder Gelb sind erweiterte Untersuchungen zur Objektgeschichte nötig. In der Regel suche ich zunächst im Zuge einer Objektautopsie nach Herkunftshinweisen auf dem Kunstwerk selbst (z. B. Rückseitenetiketten oder Beschriftungen). Hier arbeite ich mit unserem Restaurator Andreas Iglhaut zusammen, der für die Sicherheit des Kunstwerks sorgt und ggf. einen Rückseitenschutz entfernt, damit auch Keilrahmen und Leinwand eines Gemäldes sichtbar werden. Anschließend werte ich alle internen Akten aus. Das können Ankaufsunterlagen sein oder Ausstellungsakten, alte Fotografien oder Notizen ehemaliger Mitarbeiter:innen des Museums. Natürlich befrage ich auch meine Kolleg:innen. Unsere Sammlungsleiterin Dr. Antje Birthälmer kennt die Sammlung seit vielen Jahrzehnten und kann häufig hilfreiche Hinweise geben, die mich auf die richtige Recherchespur führen. Kunstwerke können ihre Spuren auch in der Forschungsliteratur hinterlassen. In Auktions- oder Ausstellungskatalogen, in Monografien zu den Künstler:innen oder Sammelbänden kann man fündig werden. Dabei ist unsere Bibliothekarin Anne Kessler immer eine große Hilfe. Weitere Recherchen können in externe Archive, zu Datenbanken oder zu anderen Online-Ressourcen führen. Am vorläufigen Ende einer Recherche versuche ich, alle Informationen in eine sinnvolle Reihenfolge für eine Objektbiografie zu bringen. In einer sogenannten Provenienzkette finden sich Informationen, wer ein Werk von wann bis wann besessen hat und unter welchen Umständen es einen Besitzer:innenwechsel gab. Gleichzeitig dokumentiere ich, woher ich die jeweilige Information habe. Häufig gibt es jedoch Lücken in der Überlieferung. Das kann manchmal frustrierend sein, aber es ist möglich, dass sich die Lücken zu einem späteren Zeitpunkt schließen lassen. Provenienzforschung ist eben immer ein Prozess und viele Menschen im Museum sind daran beteiligt. Am Von der Heydt-Museum läuft aktuell eine umfangreiche Digitalisierungskampagne, die maßgeblich von meinen Kolleginnen Dr. Anna Storm und Tatjana König durchgeführt wird. Nach und nach wird jedes Objekt digital erfasst sein, sodass ich dann die „Provenienzampel“ einstellen kann. Dadurch wissen wir bald genauer, wie viel (Recherche-)Arbeit noch in unserer Sammlung steckt.

WARUM PROVENIENZFORSCHUNG?

Durch die Beforschung der Herkunft unserer Objekte übernehmen wir Verantwortung. Wenn ein Werk restituiert wird, kann vergangenes Unrecht zwar nicht wiedergutgemacht werden, aber es gibt die Möglichkeit, dass die Opfer des Nationalsozialismus Anerkennung für das ihnen widerfahrene Unrecht erhalten. Ein Kunstwerk ist und bleibt immer eng verbunden mit den Menschen, durch deren Hände es gegangen ist. Durch die Rekonstruktion der Objektgeschichten leisten Provenienzforscher:innen auch aktive Erinnerungsarbeit, wovon alle profitieren können.

Die Ergebnisse der Provenienzforschung sollen in Zukunft über die Sammlung digital veröffentlicht werden. Auch auf diesem Blog gibt es bald ausgewählte Objektgeschichten zu entdecken!

 

 

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