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Alle drei Häuser hüten bedeutende Werke der beiden Künstlergruppen „Brücke“ und „Blauer Reiter“, die unsere Vorstellung vom Expressionismus als Phänomen und Epoche entscheidend bestimmen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Genese aber hat jede der drei Sammlungen ihre eigenen Schwerpunkte. Nimmt man sie zusammen, entsteht ein erstaunlich vollständiges und facettenreiches Bild der Epoche. Das Von der Heydt-Museum, 1902 eröffnet, wurde gegründet und stets gefördert von einem wohlhabenden Bürgertum, das sich begeistert der damals zeitgenössischen Kunst und folglich auch dem Expressionismus öffnete. Parallel dazu entwickelte sich die Kunsthalle in Barmen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gleichsam zu einem Epizentrum der Moderne. Fast alle namhaften expressionistischen Künstler wurden dort in Einzelpräsentationen gewürdigt. So entstanden hochrangige Sammlungen zum Expressionismus im Tal der Wupper, die bis heute die Basis unserer Bestände bilden. Ikonische Hauptwerke wie Kirchners „Straßenszene“, Marcs „Blauschwarzer Fuchs“ oder Jawlenskys „Mädchen mit Pfingstrosen“ wurden damals erworben und gehören heute zu den weltbekannten Schätzen des Von der Heydt-Museums. Bei den Kunstsammlungen Chemnitz handelt es sich um eine traditionsreiche städtische Sammlung, die in der Herzregion der „Brücke“-Künstler aufgebaut wurde: Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner verbrachten Teile ihrer Kindheit und Jugend in Chemnitz, Karl Schmidt-Rottluff wurde im heute eingemeindeten Rottluff geboren. Vor wenigen Jahren ist ergänzend zu den „Brücke“-Beständen im Haupthaus die Sammlung des früheren Münchner Galeristen Gunzenhauser mit Bildern des „Blauen Reiters“ hinzugekommen. Sie werden in einem eigenen, nach dem Sammler benannten Museum gezeigt. Das Buchheim Museum der Phantasie in Bernried schließlich vertritt einen anderen Museumstypus: Es ist ein reines Sammler- und Stiftermuseum. 2001 von dem Künstler, Schriftsteller und Sammler Lothar-Günther Buchheim gegründet, beherbergt es dessen private Sammlung, die für ihre ausgezeichneten Bestände zum „Brücke“-Expressionismus bekannt ist.
Zunächst einmal möchte ich sagen, welch großer Glücksfall das ganze Projekt aus meiner Sicht ist. Die Kunst des Expressionismus hat mich schon lange beschäftigt. Sie ist meine alte Leidenschaft und zugleich mein langjähriges wissenschaftliches Spezialgebiet. In meiner Dissertation habe ich die Malerei Franz Marcs, des Mitbegründers des „Blauen Reiters“, mit der Dichtung Georg Trakls verglichen. Es ist wunderbar, hier in Wuppertal meine Visitenkarte als Kurator ausgerechnet mit einer Ausstellung abgeben zu können, die eine Epoche aufarbeitet, mit der ich mich schon lange und intensiv wissenschaftlich beschäftigt habe. Wichtig an der Ausstellung ist mir zweierlei: Erstens möchte ich deutlich machen, welche enormen Schätze wir in der expressionistischen Kunst, bei „Brücke“ und „Blauem Reiter“, haben. Vieles ist vertraut, wird aber gerade deshalb kaum mehr bewusst wahrgenommen. Und noch viel mehr, insbesondere im Bereich der Grafik, ist über lange Jahre gar nicht zu sehen gewesen. Die Ausstellung wird also auch eine Entdeckungsreise in unsere eigene Sammlung werden. Zweitens geht es mir darum, eine entscheidende Phase der Kunstgeschichte für ein neues Publikum unter neuen Aspekten vorzustellen. Und da spielen natürlich die vielen Leihgaben, die wir zu Gast haben werden, eine wichtige Rolle. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit den Netzwerken, in denen die Künstler sich bewegten und die sie nutzten, um Galeristen und Sammler zu finden oder Ausstellungen zu organisieren. Und wir fragen, welche Rollen die Frauen in den beiden Formationen spielten oder wie aus heutiger Sicht ihr Umgang mit außereuropäischer Kunst zu bewerten ist.
Ich hoffe, dass wir mit der Ausstellung vermitteln können, was für ein komplexes Phänomen der Expressionismus ist. Man kann die üblichen Schlagworte verwenden und sagen, im Expressionismus, bei „Brücke“ und „Blauem Reiter“, gehe es um die Befreiung von Farbe und Form von akademischen Vorgaben, von einem normativ gesetzten Naturalismus. Und hinzufügen, beide Künstlergruppen hätten gleichermaßen mit den akademischen Normen gesellschaftliche Zwänge überwinden wollen. Das ist sicher irgendwie korrekt. Aber unter der Oberfläche dieser schnell erkennbaren Gemeinsamkeiten schlummern viele andere Themen und manche Widersprüche. Wenn die Künstler der „Brücke“ einerseits und des „Blauen Reiters“ andererseits das Gleiche tun, so ist das keineswegs immer dasselbe. Nicht zuletzt daher rühren die Missverständnisse und Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Aber auch innerhalb der beiden Formationen spürt man Spannungen – es sind die Spannungen einer Zeit, in der vieles im Umbruch war und die letztlich in die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mündete: den Ersten Weltkrieg. In den Werken der Expressionisten trifft der Moloch Großstadt auf die Vorstellung von Idylle und Paradies, in ihnen steht eine mitunter scharf zugespitzte Figürlichkeit im Kontrast mit dem Aufbruch in die Abstraktion. Diese Gegensätze werden in der Ausstellung spürbar werden.
Das Manifest der „Brücke“ bringt es auf den Punkt: Man wolle „unmittelbar und unverfälscht“ arbeiten, heißt es da. Kandinsky, das Master Mind des „Blauen Reiters“, formulierte es etwas feinsinniger und sagte, in der Kunst komme es ausschließlich auf die „innere Notwendigkeit“ an. Wie auch immer: revolutionär an der Kunst der Expressionisten war und ist bis heute das Vertrauen auf die eigene Subjektivität. Beide Künstlergruppen verstanden sich als Vorreiter eines neuen Sehens, eines neuen Fühlens, eines neuen Denkens. Sie erwarteten eine neue Zeit und eine neue Welt und wollten ihren Beitrag dazu leisten, dass sie hereinbrach. Andererseits waren „Brücke“ und „Blauer Reiter“ sehr verschieden. Das beginnt schon auf der organisatorischen Ebene. Wir nennen sie ja immer die beiden prägenden „Künstlergruppen“ des Expressionismus. Ich habe das in unserem Gespräch auch getan – weil es einfach griffig klingt. Genau genommen ist die Sache aber komplizierter. Die „Brücke“ war in der Tat eine „Künstlergruppe“ im strengen Sinn des Wortes: 1905 in Dresden gegründet von vier Freunden, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl. Und diese Künstlergruppe blieb – mit einigen Fluktuationen (so schied etwa Bleyl früh aus, dafür kam Pechstein hinzu) – rund acht Jahre beieinander. Erst 1913 in Berlin brach die Gemeinschaft endgültig auseinander. Man malte zusammen, man organisierte Ausstellungen zusammen, man suchte auch privat große Nähe zueinander. In einer besonders fruchtbaren Phase, um 1909/10, ist der formale Einklang zwischen den Künstlern derart groß, dass man fallweise Schwierigkeiten hat zu unterscheiden, von wem welche Arbeit stammt. Der „Blaue Reiter“ funktionierte ganz anders. Es handelte sich nicht um eine fest umrissene Künstlergruppe, sondern um eine eher lockere Formation, an der Jahreswende 1911/12 zusammengerufen auf die Initiative von Franz Marc und Wassily Kandinsky, die ein Buch, einen „Almanach“, herausbringen wollten, der ein Bild der aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen im Bereich von Kunst und Kultur zeichnen sollte. Demzufolge war man stärker als die „Brücke“ an Theorie interessiert. Nicht nur bildende Künstler gehörten zum „Blauen Reiter“, auch Komponisten und Kunstkritiker. Es war buchstäblich eine bunte Truppe. Außer dem Buch „Der Blaue Reiter“, das in zwei Auflagen erschien, trat die nach ihm benannte Gruppierung nur zweimal in Ausstellungen in Erscheinung.
Bis heute spürt man die Energie in den Arbeiten von „Brücke“ und „Blauer Reiter“ – eine Frische und einen Geist von Aufbruch und Neubeginn, der ansteckend wirkt. Sie haben Konventionen gesprengt und eine neue Vorstellung von Kunst und ein neues Bild des Künstlers begründet. Generationen konnten sich darauf berufen. Nach 1945 wurde die Kunst von „Brücke“ und „Blauem Reiter“, wurde der Expressionismus insgesamt zum Fanal der Freiheit stilisiert. Seine Vertreter, in der Mehrheit von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt, verkörperten eine vermeintlich unbelastete Moderne, galten als Wegbereiter einer wiedergewonnenen Freiheit. In unserer Ausstellung ist das in einer Art Epilog angedeutet: In einem eigenen Raum zeigen wir Malerei der Nachkriegszeit aus unserer Sammlung – Werke des Informel und des Abstrakten Expressionismus. Aber wenn man die Expressionisten derart idealisiert, vergisst oder ignoriert man die inneren Konflikte und Widersprüche, in die sie selbst sich verwickelt hatten. So ist beispielsweise Franz Marc, der vermeintlich sanftmütige Maler der Tiere, mit voller Überzeugung und in falsch verstandenem Patriotismus in den Ersten Weltkrieg gezogen und darin umgekommen. Oder nehmen Sie den berühmten Fall Emil Nolde: Er biederte sich – allerdings vergeblich – den Nationalsozialisten an, im festen Glauben an seine Sendung als „deutscher“ Künstler.